In diesem Kapitel werden detailliert die Gestaltungsmerkmale des Kurses „Bildungssprache als Herausforderung für mehrsprachige Schüler:innen“ dargestellt. Es werden Informationen zur Verknüpfung von Lern- und späterem Handlungsfeld, Verzahnung der Lehrkräftebildungsphasen, Verwendung von Unterrichtsvideos sowie zum Forschenden Lernen und zur Tandemlehre gegeben.
Verknüpfung von Lern- und späterem Handlungsfeld
Neben der theoretischen Fundierung liegt ein besonderes Augenmerk dieses Kurses auf dem Arbeiten in der Praxis. Die Sammlung von Praxiserfahrungen ist für die Studierenden wichtig, um sich selbst weiterzuentwickeln (Berkel-Otto, Lisa, Peuschel, Kristina & Steinmetz, Sandra, 2021), Abläufe selbst zu erleben und diese nachzuvollziehen. Dabei werden ihnen Stolpersteine bewusst, die bei einer rein theoretischen Betrachtung nicht aufgefallen wären. Den Studierenden erscheint beispielsweise bei der Erarbeitung der Diagnosewerkzeuge im Seminar oftmals deren Durchführung als sehr einfach. Erst bei der Umsetzung mit Schüler:innen stoßen sie auf Herausforderungen, mit denen sie vorher nicht gerechnet haben. Die Studierenden lernen durch den aktiven Einsatz der Werkzeuge, wie sie mit etwaigen Stolpersteinen umgehen können und beginnen Routinen zu entwickeln. Dies betrifft zum einen den Umgang mit den Schüler:innen sowie die Anwendung verschiedener Werkzeuge der Sprachstandsdiagnose, Durchführung von Förderung sowie eines sprachsensiblen Unterrichts.
Aus diesen Gründen integriert die vorliegende Kurskonzeption eine enge Zusammenarbeit mit einer sprachlich heterogenen Schulklasse. Für den Fall, dass keine Schulklasse zur Verfügung steht, werden bei der Beschreibung der einzelnen Bausteine auch Ideen eingebracht, wie ein Praxisbezug ohne Schulklasse erfolgen kann. Ziel ist es auch dann, dass die Studierenden die theoretisch erarbeiteten Inhalte weitestmöglich praktisch erfahren.
Im vorliegenden Kurs sind die Kontaktaufnahme sowie eine erste Analyse der Sprachfähigkeit der Schüler:innen als erster Schritt vorgesehen. Hierbei steht für die Studierenden im Zentrum wahrzunehmen, was der Schüler oder die Schülerin versteht. Wie kann etwas so formuliert werden, dass es auch verstanden wird? Was bedeutet es, wenn der Schüler oder die Schülerin keine Antwort gibt? Hat der Junge oder das Mädchen in dem Fall meine Frage nicht verstanden, kein Interesse oder aber kein Vertrauen? Um ein Gespür für die Antworten auf diese Fragen zu erhalten, reicht es nicht aus, die Inhalte theoretisch zu erarbeiten. Hier hilft es den Studierenden, wenn sie sich in einer sprachlich heterogenen Klasse erproben. Zugleich besteht die Möglichkeit, mit Fragen an die Lehrkraft der Klasse heranzutreten und ihre Einschätzung der Situation einzuholen.
Im Kurs sind zur Intensivierung der „Kontaktaufnahme“ zwischen Studierenden und Schüler:innen Eins-zu-eins-Situationen eingeplant, aber auch das Zusammentreffen von Kleingruppen oder der gesamten Klasse vorgesehen ( Kapitel 5, Bausteine 1, 4, 5 und 6).
Vorteile der Kooperation eines Universitätsseminars mit einer Schulklasse
- Der Übergang des theoretischen Wissens in Anwendungswissen wird unterstützt.
- Die Studierenden erfahren Praxis und erproben ihre Ideen in einem geschützten Umfeld aus.
- Die Studierenden erhalten eine direkte Rückmeldung von den Schüler:innen zu ihren Fördermaterialien und Unterrichtsversuchen.
Hinweise zur Kontaktaufnahme mit einer Schule
- Der Kontakt zu einer Schule lässt sich über das Schulamt, direkt bei einer Schule oder einer bereits mit der Universität kooperierenden Schule, etwa im Rahmen der Schulpraktika, herstellen. Auf der Homepage der Schulämter gibt es in der Regel eine Übersicht über die Grund- und Mittelschulen im Schulamtsbezirk.
- Sollte keine Schulklasse mit sprachlicher Heterogenität zur Verfügung stehen, so können Inhalte mit Hilfe von Videovignetten und Fallbeispielen vertieft werden. Hierzu werden in den einzelnen Bausteinen verschiedene Vorschläge und Ideen eingebracht.
Verzahnung der Lehrkräftebildungsphasen
Im vorliegenden Kurs wird auf eine Art Generationenvertrag gesetzt. Hierunter wird ein solidarischer „Vertrag“ zwischen ausgebildeten Lehrer:innen, Lehramtsanwärter:innen und Studierenden verstanden, sich gegenseitig im komplexen Arbeitsfeld Schule zu unterstützen und auszutauschen (vgl. Hohbauer & Stahl, 2019). Dabei ist es keinesfalls so, dass Wissen nur von der älteren an die jüngere Generation weitergegeben wird. Gerade im Bereich Deutsch als Zweitsprache haben Studierende oftmals einen Wissensvorsprung vor Angehörigen der zweiten und dritten Lehrkräftebildungsphase und können so wertvolle Erkenntnisse in den Austausch mit einbringen.
Bei der Planung einer solchen Zusammenarbeit sollten mindestens zwei Zusammenkünfte zwischen Uniseminar und Seminar der zweiten Ausbildungsphase eingeplant werden. So besteht die Möglichkeit, in einem ersten Treffen genügend Raum für ein Kennenlernen beider Gruppen zur Verfügung zu haben. Darüber hinaus können hier die inhaltlichen Grundlagen für das nächste Treffen gelegt sowie organisatorische Absprachen (z. B. Bildung von Arbeitsgruppen) vorgenommen werden.
Dies wirkt sich erfahrungsgemäß positiv auf das Gruppenklima sowie die zu erwartenden Ergebnisse aus, da hier frühzeitig die Hemmschwelle des Sich-Nicht-Kennens überschritten wird. Das zweite Treffen wird so angelegt, dass jeweils kombinierte Gruppen aus Studierenden und Lehramtsanwärter:innen zusammenarbeiten, und beispielsweise ein Sprachstandsdiagnoseverfahren gemeinsam anwenden. Die Rückmeldungen beider Gruppen haben gezeigt, dass die Beteiligten ausreichend Zeit für einen freien, interessensbezogenen Austausch sehr wertschätzen.
Gemeinsame Veranstaltungen von Universitäts- und Lehramtsanwärter:innen-seminaren benötigen einen ausreichenden Vorlauf in der Organisation. So ist die frühzeitige Festlegung der Termine eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Zusammenarbeit, insbesondere da Dozierende aller Phasen an enge zeitliche Vorgaben gebunden sind. Zudem sollten auch inhaltliche und organisatorische Aspekte, die für den Ablauf wichtig sind, frühzeitig durchdacht werden. So wird sichergestellt, dass für etwaige Tätigkeiten, wie das Vorbereiten eines Kurzvortrags oder einer Unterrichtsmitschau, ausreichend Zeit zur Verfügung steht.
Die Abbildung zeigt einen möglichen Ablaufplan zur Organisation der gemeinsamen Seminartage.
Folgende Schwerpunkte der Zusammenarbeit haben sich im Rahmen des Kurses bewährt und sind daher in die Gesamtkurskonzeption eingebettet:
Theoretische Inputs, z. B. zum Thema Sprachstandsdiagnose oder sprachliche Stolpersteine der Mathematik (nähere Ausführungen dazu Baustein 4): Diese ermöglichen einen Austausch über theoretische Konzepte unter den Studierenden und Lehramtsanwärter:innen.
Gemeinsame Unterrichtsvorführungen mit anschließenden Stundenbesprechungen: Im Rahmen dessen werden Unterrichtsentwürfe gemeinsam angesehen und besprochen. Falls keine Unterrichtsmitschau in der Schule möglich ist, kann auch auf videografierte Unterrichtssituationen zurückgegriffen werden (nähere Ausführungen dazu Baustein 6).
Vorteile der Kooperation eines Universitätsseminars und
eines Lehramtsanwärter:innenseminars
- Studierende lernen den Blick von Seminarleiter:innen auf den Unterricht kennen.
- Studierende erhalten Einblicke in Seminarabläufe und verlieren dadurch eine möglicherweise vorhandene Unsicherheit vor der zweiten Lehrkräftebildungsphase.
- Studierende bekommen die Möglichkeit, sich mit Lehramtsanwärter:innen auszutauschen.
Hinweis zur Kontaktaufnahme mit Seminarleiter:innen
- Die Information für einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin eines Seminars ist über das zuständige Schulamt einzuholen.
Verwendung von Unterrichtsvideos
Videomitschnitte, die detaillierte Einblicke in das Unterrichtsgeschehen zulassen und unterrichtliche Prozesse in einer hohen Komplexität und Anschaulichkeit erfassbar machen, bieten der Lehrer:innenausbildung wertvolle Chancen (vgl. Krammer, Reusser 2005). Inhaltliches Ziel der Arbeit mit Videoaufnahmen ist die objektive Analyse von beobachtbaren Lehr-Lernprozessen. Ebenfalls erstreckt sich diese Analyse auf das Lehrer:innenverhalten bezüglich seiner Gründe und Auswirkungen auf das Lernen der Schüler:innen. Der Einsatz von Unterrichtsvideos führt zu einer Steigerung anwendbaren Wissens (vgl. Blomberg 2011). Im Kurs sollen die Studierenden unter Einbezug von Unterrichtsmitschnitten aus sprachlich-heterogenen Klassen für Sprachbildung und Sprachförderung sensibel werden.
Korthagen und Kessels (1999) unterscheiden zwei mögliche Strategien, theoretische Inhalte mit Videobeispielen aus dem Unterricht zu verbinden. Zum einen die rule-example-Strategie: Theorie wird durch videographische Beispiele aus dem Klassenzimmer illustriert und so in den Kontext der stattfindenden Handlungen im Klassenzimmer gesetzt. Bei der example-rule-Strategie hingegen werden Videobeispiele aus dem Unterricht genutzt, um den Lerner oder die Lernerin mit den komplexen Handlungen im Klassenzimmer zu konfrontieren, um dann Regeln abzuleiten.
Im vorliegenden Kurs kommt insbesondere die rule-example-Strategie zum Einsatz. Mithilfe eines theoretischen Inputs und eigener Recherche zu den Qualitätsmerkmalen für den Unterricht[1] mit sprachlich heterogenen Schüler:innen eignen sich die Studierenden Wissen über die Möglichkeiten und Umsetzung einer durchgängigen Sprachbildung an. Mit Beobachtungsaufträgen versehen, die sich an den Qualitätsmerkmalen orientieren, betrachten und analysieren die Studierenden daraufhin das Video einer sprachsensiblen Unterrichtsstunde (vgl. Stahl & Peuschel, i. V.).
Forschendes Lernen
Um für den Schulalltag, welcher geprägt ist vom Umgang mit einer heterogenen Schüler:innenschaft, gewappnet zu sein, reicht es für angehende Lehrer:innen nicht aus, sich vorhandenes Wissen anzueignen und zu reproduzieren. Vielmehr sollte schon im Studium ein Verständnis dafür entwickelt werden, welche Herausforderungen mit der zunehmenden Heterogenität auf Lehrende warten. Eng damit verbunden ist die Entfaltung der Fähigkeit immer wieder Neues auszuprobieren, dessen Praktikabilität zu überprüfen, sich immer wieder selbst zu reflektieren und sich so weiterzuentwickeln (vgl. Altrichter 2003).
Im Rahmen eines forschenden Lernens werden für die eigene Lebenswelt bedeutsame Fragen oder Hypothesen überlegt, welche die Studierenden anschließend auf Richtigkeit oder Widerlegung überprüfen. Für die Studierenden im Kurs bedeutet dies Aufgaben zu erhalten, welche sie neben einer theoretischen Erarbeitung auch forschend erproben können. Beispielsweise erfolgt die Entwicklung von Sprachfördermaterialien für eine Schülerin oder einen Schüler im Rahmen eines kleinen Forschungsprojekts. Hierzu ist es zunächst notwendig, eine Fragestellung zu formulieren. Diese könnte im Rahmen dieses Kurses folgendermaßen lauten: Welche Aspekte sind bei der Entwicklung individueller Sprachfördermaterialien zum mündlichen Erzählen zu berücksichtigen? Im Anschluss wird ein Untersuchungskonzept ausgewählt und das Forschungsdesign entworfen. Dies kommt in der Schulklasse zur Umsetzung. Um diesen Prozess zu dokumentieren, fertigen die Studierenden eine Hausarbeit an, in der sie auch ihre Erkenntnisse reflektieren. Schon während des Semesters berichten die Studierenden regelmäßig ihren Arbeitsstand sowie ihre Zwischenergebnisse. Der Austausch mit Kommiliton:innen, Dozierenden, Seminarleiter:innen oder Lehramtsanwärter:innen bietet sich in diesem Zusammenhang an und kann äußerst gewinnbringend sein (vgl. Schneider, Wildt 2009).
Die folgende Grafik zeigt den Prozess des Forschenden Lernens nach Schneider und Wildt (2009).
Tandemlehre
Nach Marvin (1990) kann die Tandemlehre im Rahmen eines breiten Kontinuums dargestellt werden. Die Spannbreite reicht von den Polen „Lehrende haben ähnliche Arbeitsbereiche, unterrichten jedoch getrennt (co-activity)“ bis zu „gemeinsame Lehre, in der beide sowohl ihr jeweiliges Know-how als auch die Führung situationsspezifisch einbringen (collaboration)“. Die Intensität der Zusammenarbeit hängt von den jeweiligen Lehrenden sowie ihrem Vertrauensverhältnis und dem gegenseitigen Respekt ab. Unabhängig vom Ausmaß der Kooperation bietet die Tandemlehre für alle Lehrenden eine wertvolle Möglichkeit, gegenseitig voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu unterstützen und Einblicke in ein anderes System zu erlangen, sei es eine andere Disziplin oder eine andere Phase der Lehrer:innenausbildung (ebd.).
Der vorliegende Kurs kann in seiner Umsetzung die Tandemlehre auf zwei verschiedene Arten integrieren. Zum einen kann Tandemlehre zwischen Universitätsdozierenden verschiedener Fächer erfolgen, zum anderen zwischen Universitätsdozierenden und Seminarrektor:innen. Diese Zusammenarbeit kann verschieden intensiv ausgestaltet sein.
Tandemlehre von Universitätsdozierenden verschiedener Disziplinen
Die Entwicklung des Kurses findet in Tandemlehre zwischen dem Lehrstuhl für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache und seine Didaktik und dem Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik der Universität Augsburg statt. Die gemeinsame Entwicklung, Durchführung und Reflexion des Kursangebots eröffnet die Gelegenheit, Sichtweisen der verschiedenen Disziplinen und Dozierenden auszutauschen und fachliche und sowie methodische Aspekte zu diskutieren bzw. neu kennenzulernen. Insbesondere die fachlich verschiedenen Hintergründe der Dozierenden führen zu einer Weiterentwicklung des Kursangebots in konzeptioneller wie in inhaltlicher Hinsicht. Als weitere spannende Kombinationen mit Deutsch als Zweit- und Fremdsprache ist die Zusammenarbeit mit einer Fachdidaktik oder einem anderen erziehungswissenschaftlichen Bereich wie der Schulpädagogik gut denkbar.
Tandemlehre von Universitätsdozierenden und Seminarrektor:innen
Der Austausch von Lehrenden aus allen Bereichen der Lehrkräftebildung unterstützt das Ziel der Verzahnung der Ausbildungsphasen. Der Blick der Universitätsdozierenden wird auf die Aspekte gelenkt, die in der zweiten Phase der Lehrkräftebildung eine besondere Rolle spielen und können dadurch bereits im Rahmen der universitären Ausbildung in den Fokus rücken. Andersherum ist es für die Seminarrektor:innen von großer Bedeutung zu sehen, mit welcher Ausgangsbasis die Absolvent:innen der Hochschule in das Referendariat eintreten. So ist es auch von Seiten der Seminarrektor:innen einfacher, daran anzuknüpfen.
Verschiedene Ideen zur Umsetzung einer Tandemlehre in diesem Sinne finden sich in den Bausteinbeschreibungen. Spannend sind sowohl bei einem Austausch zu Unterrichtskonzepten als auch zu theoretischen Inputs die verschiedenen Blickwinkel der Dozierenden auf die Themen, aber auch unterschiedliche Wahrnehmungen. Der Austausch darüber eröffnet den Dozierenden in der Lehrerbildung einen Blick aus dem eigenen System hinaus und gibt neue Impulse.
Im Rahmen der Zusammenarbeit konnten Unterrichtsvideos gemeinsam bearbeitet werden. Dies bezieht sich auf die Auswahl geeigneter Sequenzen sowie die Entwicklung von Aufgabenstellungen. Diese Videos finden nun sowohl an der Universität als auch in der zweiten Ausbildungsphase der Lehrer:innen Anwendung.
[1] Im Rahmen des Modellprogramms FörMig entstandene Zusammenstellung von Merkmalen, Konkretisierungen, Beispielen und Hinweisen, wie Sprachbildung in allen Fächern umgesetzt werden kann (vgl. Gogolin, Lange, Hawighorst, Bainski, Heintze, Rutten & Saalmann 2011). Genauere Ausführungen dazu finden sich in Baustein 6.